Sadfishing: Traurigkeit auf sozialen Medien zeigen
Das Zeigen und Nutzen eigener emotionaler Probleme in sozialen Medien, um Publikum “anzulocken”, wird heutzutage als “sadfishing” bezeichnet. Für viele ist es ein Weg, die Tatsache zu “normalisieren”, dass die Dinge nicht immer so perfekt sind, wie sie auf unseren Strandfotos oder beim Kaffeetrinken in der angesagten Bar dargestellt werden.
Für andere ist es schlichtweg eine Masche, um Follower zu gewinnen und zum “trending topic” zu werden. Was verbirgt sich hinter diesem Phänomen? Lies den folgenden Artikel, um mehr darüber zu erfahren.
Was ist Sadfishing?
Sadfishing beschreibt das Verhalten einer Person, die ihre emotionalen Probleme exzessiv in sozialen Netzwerken “zur Schau” stellt, um das Mitgefühl der Leserschaft zu gewinnen. Der Begriff wurde von Rebecca Reid geprägt und bezieht sich auf Menschen, die ihre Gefühle von Traurigkeit, der Angst oder Unbehagen in sozialen Netzwerken öffentlich preisgeben.
Dieses Verhaltensmuster könnte mit ängstlicher Bindung zusammenhängen, so eine Studie, die im Journal of American College Health veröffentlicht wurde. Menschen mit diesem Bindungsstil haben Angst davor, verlassen zu werden und brauchen ständige Bestätigung. Um die Aufmerksamkeit und Bestätigung zu bekommen, die sie sich wünschen, betreiben sie Sadfishing.
Der Begriff setzt sich aus den Wörtern “sad” und “fishing” zusammen. Es ist eine Anspielung auf ein anderes Wortspiel, “Catfishing”, das sich auf das Erstellen von gefälschten Profilen in sozialen Netzwerken bezieht, um sich einen Vorteil zu verschaffen.
In diesem Fall bezieht es sich auf das öffentliche Zurschaustellen von Traurigkeit, um Aufmerksamkeit zu erregen, um aus Mitgefühl und Mitleid einen Nutzen zu ziehen. Aber denkst du, dass das wahr ist?
Das könnte dich auch interessieren BeReal, das neue soziale Netzwerk für Teenager
Positionen für Sadfishing
Wie alles in der digitalen Welt hat auch Sadfishing Befürworter und Gegner. Die Positionen sind sehr unterschiedlich. Die Befürworter von Sadfishing führen folgende Argumente an.
Es hilft, soziale Netzwerke ein wenig zu vermenschlichen
Plötzlich zeigen sich die Menschen so, wie sie sind, mit ihren glücklichsten und unglücklichsten Tagen. Dadurch wird die Erzählung vom “perfekten Leben” aufgelöst und gezeigt, dass alle Menschen – auch die, die berühmt sind, Geld haben oder für ihr Talent oder ihre Schönheit bekannt sind – in schwierige Situationen geraten können.
Es kann ein Weg sein, um Hilfe zu bitten
Wenn sich Menschen unwohl oder einsam fühlen, können sie ihr Unbehagen ausdrücken und um Hilfe bitten. Dazu nutzen sie soziale Netzwerke als Ventil.
Es ist eine Möglichkeit, Gefühle auszudrücken
Ist es dir schon einmal passiert, dass du dich erleichtert gefühlt hast, nachdem du jemandem erzählt hast, was mit dir los ist? Den meisten Menschen geht es so. Wenn wir unsere Gefühle in Worte fassen, hören wir auf, uns in unseren eigenen Gedanken zu verlieren und öffnen uns der Welt. Das ist ein Weg, die Belastung, die wir “auf den Schultern tragen” leichter zu machen.
Psychische Gesundheit und ihre Bedeutung sichtbar machen
Angstzustände, depressive Störungen, Selbstmord und andere Probleme geben weltweit Anlass zur Sorge. Daher sind die sozialen Medien zu einem wichtigen Ort geworden, um das Bewusstsein für psychische Gesundheit zu schärfen, das Verständnis dafür zu fördern und denjenigen, die mit psychischen Problemen konfrontiert sind, Unterstützung zu bieten.
Eine scheinbar harmlose Äußerung wie “Ich bin traurig” kann jedoch zu einer Flut von negativen und abwertenden Kommentaren, Belästigungen und sogar Cybermobbing führen.
Daher kann es kontraproduktiv sein, unsere Gefühle in den sozialen Medien “breitzutreten”, um Verständnis und Unterstützung zu finden, da viele Menschen höchstwahrscheinlich unsere Gefühle diskreditieren und uns kritisieren werden.
Positionen gegen Sadfishing
Diejenigen, die gegen Sadfishing sind, verhalten sich in vielen Fällen wie “Hater” und führen folgende Argumente an.
Sie sehen es als eine Strategie, um Aufmerksamkeit und Follower zu gewinnen
Es stimmt zwar, dass manche Menschen soziale Netzwerke als Plattform nutzen, um Aufmerksamkeit oder Follower zu bekommen, aber wir sollten nicht verallgemeinern und davon ausgehen, dass jeder, der seine traurigen Gefühle teilt, dies aus egoistischen Motiven tut. Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte und seine eigenen Gründe, seine Gefühle auszudrücken.
Sie werten jeden Ausdruck von Unbehagen oder Traurigkeit ab
Sie behaupten, dass diejenigen, die ihre Traurigkeit in den sozialen Medien ausdrücken (z.B. eine berühmte Person), keinen Grund haben, sich zu beklagen, wenn sie alles haben, was ein Mensch sich wünschen kann: Geld, Ruhm, ein riesiges Haus, tausende Follower etc. Mit anderen Worten: Berühmt zu sein (oder jung zu sein, oder hübsch zu sein, oder Geld zu haben…) schließt die Möglichkeit aus, unangenehme Gefühle zu haben.
Ihre böswilligen Kommentare werden von ihnen gerechtfertigt
Im Allgemeinen argumentieren diejenigen, die Sadfishing kritisieren, dass eine Person, die sich dazu entschließt, sich auf diese Weise zu exponieren, weiß, welche Konsequenzen dies haben kann. Diese Art von Nutzern glauben, sie hätten das Recht zu sagen, was sie wollen.
Aber es lohnt sich, sich zu fragen, ob wir nur Glück, Freude und Perfektion tolerieren können? Warum stört uns die Traurigkeit anderer so sehr? Warum fällt es uns so schwer zu glauben, dass andere Probleme haben könnten, auch wenn ihr Leben perfekt zu sein scheint? Diese Fragen können als Leitfaden dienen, um über unsere Beziehungen zu anderen nachzudenken.
Einige Richtlinien für den Umgang mit sich selbst in den sozialen Medien
Wenn du dich schon einmal traurig gefühlt hast und dich beschlossen hast, deine Gefühle online zu teilen und daraufhin beleidigende Kommentare erhalten hast, solltest du einige Tipps beachten.
Obwohl es am besten wäre, die Menschen zu mehr Einfühlungsvermögen und einem verantwortungsvollen Umgang mit den sozialen Medien zu erziehen, verleitet die Anonymität, die diese Plattformen bieten, viele Menschen dazu, sich aggressiv zu äußern. In diesem Fall ist es am besten, auf sich selbst aufzupassen. Schauen wir mal, wie das funktionieren könnte:
- Entscheide, was du teilst und was du preisgibst: Es ist am besten, Tools zu verwenden, die uns schützen und die Cybersicherheit fördern.
- Entscheide dich für das Löschen, Blockieren und Melden: Es ist wichtig, Profile unsichtbar zu machen, die aggressiv sind und Kommentare hinterlassen, die Hass schüren.
- Lerne zu unterscheiden: Auch wenn Kommentare feindselig sind, heißt das nicht, dass sie wahr sind. Diese Aggressivität ist eher ein Spiegelbild dessen, was andere sind oder fühlen, als ein Spiegelbild deiner selbst.
- Suche Unterstützung bei Menschen, denen du vertraust: Es ist wichtig, dass du dich an Menschen wendest, die ein echtes Interesse an deinem Wohlergehen haben. Du musst auch akzeptieren, dass dich nicht immer alle mögen werden.
Ein weiterer informativer Artikel für dich Psychische Probleme bei Jugendlichen: Das sind die wichtigsten
Deine Privilegien dürfen deine Empathie nicht trüben!
Dieser Satz wurde von Ita Maria, einer Aktivistin und Feministin, auf ihren Social-Media-Accounts gepostet. Dieser Satz hilft uns, darüber nachzudenken, dass wir die Messlatte oft sehr hoch legen, wenn wir über andere Menschen sprechen oder uns zu ihnen äußern. Dabei kennen wir weder ihren Kontext noch ihre Umstände oder ihre Ausgangssituation.
Stattdessen können wir aktiv entscheiden, wie wir soziale Netzwerke nutzen und ob wir unsere Gefühle zeigen oder nicht. Wir können auch versuchen, toleranter gegenüber den Entscheidungen zu sein, die andere treffen, wenn sie soziale Medien nutzen.
Wenn wir uns entscheiden, das Spiel mitzuspielen, das die sozialen Medien bieten (zeigen, teilen, liken usw.), sollten wir auch andere entscheiden lassen, welche Inhalte sie teilen wollen.
Wenn wir glauben, dass Menschen im Internet Sadfishing betreiben, um Mitleid zu erregen, oder wenn wir einfach nicht mit ihrer Strategie einverstanden sind, haben wir immer die Möglichkeit, ihnen nicht mehr zu “folgen”. Ihnen “auf die Pelle zu rücken” oder aggressiv zu werden, muss nicht die Antwort sein.
Auch wenn die virtuelle Welt wie ein rechtsfreier Raum erscheint, in dem wir tun und lassen können, was wir wollen, sollten wir darüber nachdenken, ob wir uns in einer persönlichen Interaktion ähnlich beleidigend verhalten würden. Wenn ja, ist es vielleicht ein Aufruf an uns selbst, Hilfe zu suchen.
Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.
- Astorga-Aguilar, C., & Schmidt-Fonseca, I. (2019). Peligros de las redes sociales: Cómo educar a nuestros hijos e hijas en ciberseguridad. Revista Electrónica Educare, 23(3), 339-362. https://www.scielo.sa.cr/scielo.php?script=sci_arttext&pid=S1409-42582019000300339
- Chicaiza, C. (2022). Sadfishing: nueva tendencia de espectacularización de la depresión en TikTok, análisis de influencers. [Tesis de pregrado, Universidad Politécnica Salesiana]. Repositorio Institucional de la Universidad Politécnica Sales. https://dspace.ups.edu.ec/bitstream/123456789/22639/4/TTQ766.pdf
- Hand, C. (2019, December 2). Sadfishing: frequently sharing deeply emotional posts online may be a sign of a deeper psychological issue. https://theconversation.com/sadfishing-frequently-sharing-deeply-emotional-posts-online-may-be-a-sign-of-a-deeper-psychological-issue-126292
- Marañón, C. O. (2012). Redes sociales y jóvenes: una intimidad cuestionada en internet. Aposta. Revista de Ciencias Sociales, (54), 1-16. https://www.redalyc.org/articulo.oa?id=495950250003
- Martínez, J. M. A. (2013). Análisis psicosocial del ciberbullying: claves para una educación moral. Papeles del psicólogo, 34(1), 65-73. https://www.redalyc.org/articulo.oa?id=77825706007
- Pagador Otero, I., & Llamas Salguero, F. (2014). Estudio sobre las redes sociales y su implicación en la adolescencia. Enseñanza & Teaching: Revista Interuniversitaria De Didáctica, 32(1), 43–57. https://redined.educacion.gob.es/xmlui/bitstream/handle/11162/197052/10226-44037-1-PB.pdf?sequence=1
- Petrofes, C., Howard, K., Mayberry, A., Bitney, C., & Ceballos, N. (2022). Sad-fishing: Understanding a maladaptive social media behavior in college students. Journal of American college health, 1-5. https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/07448481.2022.2132110?journalCode=vach20
- Putri, C., Damayanti, M. & Erland, R. (2020). Sadfishing Phenomenon of #Justiceforaudrey (Hashtag) on Twitter. Mediator: Jurnal Komunikasi, 13(1), 58-67. https://www.researchgate.net/publication/342921150_Sadfishing_Phenomenon_of_Justiceforaudrey_Hashtag_on_Twitter